von Kai U. Heitmann
Im Oktober 2020 konnte der 12. Geburtstag von ART-DECOR gefeiert werden. Grund genug, einen kurzen Blick zurück in die Geschichte zu werfen.
Im Jahr 2008 begann alles mit dem Tool – damals noch „DECOR“ genannt und ohne Benutzeroberfläche bekannt – und doch wurde es der Startpunkt für einige niederländische Projekte unter der Federführung von Nictiz, dem nationalen Kompetenzzentrum für digitale Medizin in den Niederlanden. Spezifikationen zu den Domänen und Anwendungsfällen Perinatologie, Diabetesversorgung und Informationsaustausch in der Allgemeinmedizin profitierten als Erste von dieser neuen Möglichkeit. Später im Jahr 2009 folgten auch das Laborprojekt eLab mit IHE Niederlande an der Spitze, Public Health Vorhaben unter der Leitung des niederländischen Instituts für öffentliche Gesundheit und Umwelt und sogar einige andere Projekte ohne Nictiz.
Allen diesen Projekten war gemeinsam, dass die Spezifikationen der Healthcare-IT in riesigen Tabellenkalkulationen dokumentiert wurden, die sogar von Projekt zu Projekt variierten. In drei großen Bereichen sammelten die Spreadsheets die funktionale Sicht des Gesundheitsdienstleisters, ganz rechts die Szenarien und schließlich die technischen Spezifikationen. Einige erinnern sich sicherlich lebhaft an diese neue „Methodik“.
Die DECOR-Methode, federführend von Kai Heitmann federführend entwickelt, diente seitdem als konsequenter Ersatz für die Tabellenkalkulationen sowie zur Überwindung von Variationen, Inkonsistenzen und Fehlern beim Durchlaufen des Lebenszyklus von Health-IT-Spezifikationen, von der Anforderungsdokumentation, Szenarien, Profile und Supportimplementierung bis hin zum Test und dem Routineeinsatz.
Am Anfang waren die sogenannten DECOR-Spezifikationen eine Sammlung von XML-basierten Definitionsdateien und einem Satz von Transformationsskripten, die hauptsächlich durch Stapelverarbeitung verwendet wurden, um Dokumentationen und insbesondere Test- und Validierungsmethoden für Dateninstanzen mit ISO-Schematron zu erstellen.
2009 fügte der Niederländer Gerrit Boers eine Benutzeroberfläche und eine Datenbank zu DECOR hinzu. Seitdem trägt das Tool den Namen ART-DECOR (Advanced Requirements Tooling – Data Elements, Codes, OIDs and Rules). Neben der Einführung einer XML-Datenbank wurde eine umfassende Query-Sprache und ein Xforms-Framework zur Weiterentwicklung genutzt.
Fast gleichzeitig wurde die ART-DECOR® Expertengruppe gebildet, die sich zunächst aus niederländischen und deutschen Spezialisten zusammensetzte, die die Entwicklung koordinierten und vorantrieben.
Das Tool wurde schnell zur Heimat für anderer Projekte wie die niederländischen Infrastrukturspezifikationen für die sogenannte AORTA, die CDA-Spezifikationen der Deutschen Rentenversicherung DRV (2009), HL7 Deutschland (2010) und weitere europäische Projekte (2011) wie den Informationsaustausch Dialysebehandlung für die European Renal Association und regionale E-Health-Projekte in Norwegen und Litauen.
Seitdem wird ART-DECOR auch für diverse Integrationsprojekte in Europa eingesetzt. Nachdem beispielsweise das Projekt epSOS (Smart Open Services for European Patients) im Jahr 2014 seine erste Phase abgeschlossen hatte, verwendeten nachfolgende Projektphasen das Tool zur Entwicklung und Pflege der Spezifikationen. Die eHealth Digital Service Infrastructure (eHDSI für den grenzüberschreitenden Gesundheitsdatenaustausch im Rahmen der Connecting Europe Facility (CEF) wurde eingerichtet und begann mit der Bereitstellung von Spezifikationen für die Patient Summary und die elektronische Verschreibung. Seit dieser ersten offiziellen Publikation im Jahr 2014 folgten viele weitere Veröffentlichungen.
ART-DECOR und IHE Europe haben 2015 ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das auf die Synergie zweier Tools abzielt: Die ART-DECOR Tools Suite und der IHE Gazelle Objects Checker – sie erleichtern die Erstellung und konsistente standardisierte Dokumentation von CDA-basierten Spezifikationen und unterstützen strenge Compliance-Validierung und -Tests.
Die Zusammenarbeit der beiden Organisationen war auch Gegenstand der ART-DECOR Specification Developer Days auf der International HL7 Interoperability Conference (IHIC) in Prag im Februar 2015. Neben Tutorials und Referenten zu speziellen Themen von Nictiz aus den Niederlanden und IHE Europe wurde auch die Zusammenarbeit mit IHE Gazelle Object Checker für eine effizientere Spezifikations-, Wartungs-, Test- und Validierungstoolsuite wurde erläutert.
ART-DECOR Release 2.0 wurde 2017 veröffentlicht und konnte dank des Feedbacks der wachsenden Community um viele weitere Funktionen erweitert werden. Seitdem ist das Tool erfreulicherweise auch Gegenstand mehrerer Bachelor- und Masterarbeiten im Bereich der Medizininformatik.
Ebenfalls im Jahr 2017 wurde ART-DECOR® Open Tools als Unternehmen gegründet, das alle kommerziellen Aspekte der ART-DECOR®-Toolsuite abwickelt. Es bietet kommerziellen Support für Kunden, die mit dem Tool arbeiten, und ergänzt strategisch die ART-DECOR®-Expertengruppe, die die inhaltliche Entwicklung vorantreibt.
Inzwischen werden Spezifikationen für nationale Infrastrukturen in den Niederlanden, Österreich (ELGA), der Schweiz (e-Health Suisse) und Polen von ART-DECOR gehostet, ebenso wie der Support für große nationale und internationale Organisationen, darunter Kunden von IHE Europe, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV oder Projekte wie die Medizininformatik-Initiative in Deutschland, das Gesundheitsministerium von British Columbia, Kanada, das Sequoia-Projekt in den USA und regionale Vorgaben in Italien und Dänemark (und diese sind lediglich ein Auszug der Liste).
Im Januar 2020, kurz vor der Corona-Krise, trafen sich die ART-DECOR-Experten in Berlin zu ihrem Strategie- und Planungsmeeting und beschlossen, mit einem neuen Frontend Development Framework und einer kompletten Neufassung des User Interfaces weiterzumachen. Ein neues Kapitel begann: ART-DECOR® Release 3.
Nach monatelanger inspirierender Entwicklungsarbeit wird ART-DECOR® Release 3 seit dem Sommer 2021 Schritt für Schritt veröffentlicht und bringt viele neue Features und Verbesserungen mit sich. Bis zur vollendeten Transformation vom „alten“ Release 2 in die neue Release 3 Welt wird an einigen Orten Parallelbetrieb gefahren. Wenn Sie bezüglich dieses neuen Entwicklungsschrittes gerne weiter auf dem Laufenden gehalten werden möchten, was Release 3 angeht, schreiben Sie sich bitte in den ART-DECOR Newsletter ein (siehe Website wordpress.art-decor.org)
Die neue Benutzeroberfläche mit verbesserter User Experience (UX) ist die „oberflächliche“ Änderungen: Ein neues Framework (Vue, Vuetify) ersetzt die in die Jahre gekommene Orbeon-Plattform. Besuchen Sie gerne die Build/Development-Site https://develop.art-decor.org , wenn es Sie brennend interessiert und für Ihre Arbeit wertvoll erscheint.
Für das neue Frontend wurde das ART-DECOR Expertenteam im September 2020 kompetent um einen spezialisierten Vue- und Vuetify-Entwickler erweitert und im ersten Quartal 2021 kamen darüber hinaus zwei weitere Frontend-Entwicklungsexperten und eine Backend-Expertin von Nictiz-Seite hinzu. ART-DECOR führt die Symbol- und Farbsprache in der gesamten App fort, um so die ausgewogene Mischung aus altbekanntem und innovativem Look-and-Feel und Features spürbar zu machen.
Als fundiertes Backend bleibt die eXist-Datenbank (exist-db.org) erhalten. Hier wurde nicht nur ein Update auf die neueste Version durchgeführt, sondern eine strategische Allianz mit eXist Solutions beflügelt nun auch das ART-DECOR Experten- und Entwicklungsteam. Die Umstellung der bisherigen API auf Microservices und neue Authentifizierungsmechanismen wurde erfolgreich durchgeführt. Alles in Allem trägt dies auch zur notwendigen besseren Skalierbarkeit, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit bei.
Darüber hinaus wird kontinuierlich an den zentralisierten ART-DECOR Terminology Services (CADTS) gearbeitet. Der neue schnelle Cross-Terminology-Browser ist nur der Anfang, siehe https://build.art-decor.org/#/terminology/ codesystem.
Neue Dokumentationsplattformen und -funktionen (PDF, Mediawiki sowie Confluence und WordPress) befinden sich bereits in der Konsolidierungsphase und es werden nun sechs UI-Sprachen unterstützt. Eine in den Niederlanden gegründete und von Nictiz (nictiz.nl) gehostete niederländische User Group bringt ebenso wie die internationale Community neue Aspekte in die Entwicklung der Open-Source-Toolsuite ein.
Auch das Thema FHIR® wird weiter ausgebaut. FHIR wird noch stärker Teil der ART-DECOR Terminology Services. Für die Behandlung von Concept Maps im weiteren Sinne bearbeitete ein Mitglied des Expertenteams mit seiner Masterarbeit unter anderem dieses Thema. Das FHIR®-Fragebogenmanagement (FQM) hatte bereits 2020 Fahrt aufgenommen (siehe auch ART-DECOR Blog https://wordpress.art-decor.org/blog). Ein FHIR-Profileditor ist im Entwurf und soll ab dem zweiten Quartal 2022 in die finale Test- und Konsolidierungsphase gehen. Er nutzt ähnliche Profiling-Mechanismen, die bereits aus dem CDA-Template-Profilierung bekannt sind, bietet grundlegende und einige erweiterte Funktionen für das Profiling von FHIR-Ressourcen, macht Nutzung vieler anderer ART-DECOR-Funktionen und arbeitet mit gängigen Profil-Repositories zusammen.
Insgesamt dient ART-DECOR seit mehr als einem Jahrzehnt der Erzeugung von Interoperabilitätsspezifikationen und mit dem schrittweisen Ausbau als Release 3 seit Mitte 2021 wird ein weiterer wichtiger Meilenstein zu mehr Zusammenarbeit und Interoperabilität beitragen.
Jeder Interessierte kann schon jetzt die fortlaufenden Entwicklungen verfolgen. Besuchen Sie dazu einfach die Build-Site https://build.art-decor.org.
In Version 3 wird zunächst eine Landingpage angezeigt, auf der Sie ein Projekt auswählen können, das Sie inspizieren oder mit dem Sie arbeiten möchten.
Wählen Sie ein Projekt und starten Sie Ihre Entdeckungsreise. Bitte geben Sie Feedback, wenn Sie möchten, über den bereitgestellten Link.Nachdem Sie ein Projekt ausgewählt haben, sehen Sie sich die Projektübersicht an und fahren Sie von dort aus fort.
Im aktuellen Release 3.2 stehen das sogenannte Project Panel (Overview, Authors, Identifiers, Release List, History), das Issue-Management, Datasets und Szenarien zur Verfügung. Mit Beginn 2022 folgt Release 3.3 mit dem Terminologie-Management mit Integration der schnellen Cross-Terminologie-Browsers zur Erstellung und Verwaltung von Value Sets. Schließlich erblicken im ersten Quartal 2022 ganz neue Profilierungsmöglichkeiten das Licht, mit dem CDA-Templates und FHIR-Profile erstellt und verwaltet werden können.
Eine Umfrage unter Nutzern und Interessierten der ART-DECOR-Toolsuite im Herbst 2021 hat ergeben, dass sie die neue Plattform stärker als bisher nutzen wollen. Sie sind neugierig auf die neue Benutzererfahrung und freuen sich vor allem auch auf die neuen Funktionen. Das Team wird sein Bestes geben, um nutzerorientierte, effiziente Software bereitzustellen.
Kommen Sie mit auf die Reise zu mehr Interoperabilität im Gesundheitswesen.