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Ein Interview mit Jonas Schön, Tiplu GmbH, Hamburg

HL7 FHIR bei der Tiplu GmbH – von wegen nur Kommunizieren!

HL7 FHIR gilt im Allgemeinen als „Kommunikations-“ und Schnittstellen-Standard. In Wirklichkeit ist FHIR mit wenigen zusätzlichen Maßnahmen sehr viel mehr zu erreichen, z. B. in Bezug auf Analyse von Daten aber auch bei der (nativen) Speicherung von Gesundheitsinformationen in FHIR.

Dies ist ein erster Blog zum Thema „FHIR – von wegen nur Kommunizieren“, mehr werden folgen.

Jonas Schön – FHIR Experte, Head of Interoperability bei Tiplu, Consulting, Beisitzer im Vorstand von HL7 Deutschland

Jonas Schön arbeitet bei der Tiplu GmbH in Hamburg und ist selbst Mitglied im Technischen Committee FHIR von HL7 Deutschland und im Expertenkreis des Interop-Councils. 

Tiplu arbeitet eng mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen zusammen, um den FHIR-Standard zu fördern und zu verbessern, insbesondere in den Bereichen Abrechnung und spezifische medizinische Anwendungsfälle. 

Das Engagement in der FHIR-Community und die Zusammenarbeit mit anderen Experten sind für Tiplu von zentraler Bedeutung, um die Interoperabilität im Gesundheitswesen voranzutreiben und die Integration neuer Technologien zu unterstützen. 

Unser CEO Kai Heitmann konnte mit Jonas am Hamburger Standort der Tiplu GmbH über deren Nutzung von FHIR in ihren Produkten sprechen.

Kai: Hallo Jonas, fantastisch, dass wir uns hier in Hamburg in euren Geschäftsräumen treffen können, danke dafür. Könntest du uns zunächst etwas über die Tiplu GmbH erzählen? Wann wurde das Unternehmen gegründet und was macht es?

Jonas: Gerne, Tiplu wurde im Jahr 2016 gegründet und hat sich auf die Entwicklung von Softwarelösungen im Gesundheitswesen spezialisiert. Wir sind besonders bekannt für unsere Software zur Erlössicherung und Kodierunterstützung „MOMO“.  Unser Ziel ist es, Versorgungsdaten für verschiedenste Zwecke, z. B. klinische Entscheidungsunterstützung, Qualitätssicherung oder Forschung nutzbar zu machen. Wir möchten medizinisches Wissen vernetzen und es allgemein zugänglich machen – mit der Vision, richtige medizinische Entscheidungen für alle Menschen zu ermöglichen. Wir sind und waren von Anfang an eigenfinanziert, was uns ermöglicht hat, unabhängig zu arbeiten und so innovative Lösungen zu entwickeln und neue Wege zu gehen.

Logo_TIPLU-Querformat

Kai: Welche weiteren Produkte bietet Tiplu an, abgesehen von MOMO?

Jonas: Neben MOMO haben wir ein weiteres wichtiges Produkt namens „MAIA“ entwickelt, eine Clinical Decision Support-Software (CDSS).  MAIA wurde für Ärztinnen und Ärzte entwickelt, um bei klinischen Entscheidungen im Krankenhaus zu unterstützen. Die Software gibt patientenindividuelle Hinweise auf potenziell noch nicht diagnostizierte Erkrankungen und/oder medizinische Komplikationen. Mittels KI werden zudem Eintrittswahrscheinlichkeiten von ausgewählten Erkrankungen und medizinischen Ereignissen ermittelt. Solche Hinweise in MAIA sind beispielsweise, wenn bei einem Patienten ein erhöhtes Risiko für einen Sturz, ein Nierenversagen oder eine Sepsis erkannt wird.

Kai: Was ist das Besondere an MAIA und wie unterscheidet es sich von anderen CDS?

Jonas:  MAIA 1.0 ist ein hybrides klinisches Entscheidungsunterstützungssystem, das sowohl regelbasierte Hinweise als auch Hinweise basierend auf ML-Modellen bietet. Die ML-Modelle wurden in einem im deutschsprachigen Raum einzigartigen Netz für Gesundheitsdaten trainiert. MAIA bietet bis zu 22 von Tiplu bereitgestellte Verdachtsdiagnosen und bis zu 7 Tiplu-Risikoprädiktionsmodelle. Zudem können mit dem Hinweiseditor, eigene Regeln erstellt werden.  

Kai: Wie setzt Tiplu den FHIR-Standard ein, und warum ist FHIR für euch wichtig?

Jonas: Wir haben für MOMO in den vergangenen Jahren viele Schnittstellen etabliert, die innerhalb einer Einrichtung den Zugang zu einer umfangreichen Patientenakte ermöglichen. Allerdings proprietär! Für uns ist FHIR wichtig, weil es das Mittel ist, diese Daten semantisch aufzubereiten und interoperabel bereitzustellen. Das ermöglicht uns, solche Anwendungen wie MAIA überhaupt zu denken, ohne unsere Schnittstellen neu entwickeln zu müssen. Auch unsere Kunden können diese FHIR-Schnittstelle zu den hauseigenen Patientendaten nutzen, beispielsweise für die Beantwortung von Forschungsfragen oder für die Anbindung anderer Expertensysteme.

FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) ist ein international anerkannter Standard für den Austausch von Gesundheitsdaten. Wir bei Tiplu haben uns entschieden, FHIR zu integrieren, um unsere interne elektronische Patientenakte für MOMO zu standardisieren und zu übersetzen. Das begann Ende 2021. FHIR ist für uns wichtig, weil es eine einheitliche Sprache für den Datenaustausch bietet, was die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen im Gesundheitswesen enorm erleichtert. Das ist besonders wichtig, da unsere Software in verschiedenen Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen zum Einsatz kommt, die oft unterschiedliche IT-Systeme verwenden.

Kai: Welche Rolle spielt der FHIR-Server, den ihr entwickelt habt?

Jonas: Wir haben mit „TipluDB“ unseren eigenen FHIR-Server entwickelt, um die spezifischen Anforderungen von Tiplu und unseren Partnern zu erfüllen. Ein großer Vorteil unseres eigenen Servers ist, dass wir ihn an die hohen Datenvolumen und die Geschwindigkeit anpassen konnten, die für unsere Anwendungen erforderlich sind. Beispielsweise ist TipluDB für die Nutzung von FHIR Search Queries optimiert. So können wir sicherstellen, dass die Daten aus unseren Schnittstellen für beispielsweise MOMO und MAIA effizient verarbeitet und schnell bereitgestellt werden. TipluDB ermöglicht es uns auch, Daten nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Datenanalyse und zur langfristigen Speicherung zu nutzen.

Kai: Ihr habt also TipluDB entwickelt, statt auf bestehende FHIR-Server zu setzen?

Jonas: Genau, das hat mehrere Gründe. Wir wollten sicherstellen, dass unser FHIR-Server optimal auf unsere spezifischen Use-Cases abgestimmt ist. Bestehende Lösungen boten nicht immer die Flexibilität oder Leistungsfähigkeit, die wir benötigten. Mit einem eigenen Server haben wir die volle Kontrolle und können Anpassungen vornehmen, die speziell auf unsere Anwendungen und die Bedürfnisse unserer Kunden zugeschnitten sind. Außerdem können wir so Innovationen schneller umsetzen und neue Features oder Anpassungen zügiger integrieren.

Jonas Schön im Interview mit Kai Heitmann

Kai: Welche technischen Herausforderungen gab es bei der Implementierung von FHIR, und wie seid ihr damit umgegangen?

Jonas: Eine der größten Herausforderungen war, dass FHIR zwar einen hervorragenden Standard bietet, aber dennoch viel Anpassungsarbeit erfordert, um es in spezifischen klinischen Kontexten einzusetzen. Wir arbeiten intensiv daran, unsere eigenen FHIR-Profile und Erweiterungen zu spezifizieren, die genau auf die Anforderungen unserer Produkte und unserer Kunden abgestimmt sind. Dazu gehören beispielsweise die Abbildung von abrechnungsrelevanten Daten, sowie unsere Profilierung für strukturierte Dokumente als FHIR Composition.

Kai: Wie sieht eure Zusammenarbeit mit der FHIR-Community aus?

Jonas: Wir sehen uns als aktiver Teil der FHIR-Community und arbeiten eng mit anderen Akteuren zusammen, um die Interoperabilität im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben. Ich selbst bin Mitglied im Technischen Committee FHIR von HL7 Deutschland und im Expertenkreis des Interop-Councils. Durch diese Beteiligung bringen wir unsere Erfahrungen und unser Wissen ein, um den Standard weiterzuentwickeln. Es ist uns wichtig, nicht nur Nutzer des Standards zu sein, sondern auch aktiv zur Gestaltung beizutragen. Wir arbeiten an der Entwicklung neuer FHIR-Profile und -Erweiterungen und setzen uns dafür ein, dass diese im internationalen Kontext anerkannt und verwendet werden. So stellen wir unsere Profile und Erweiterungen der FHIR-Community zur Verfügung und diskutieren diese.

Kai: Nutzt ihr die Best Practices, die vom deutschen Technischen Komitee (TC) HL7 Deutschland für FHIR herausgegeben wurden, und wie hilfreich sind diese für euch?

Jonas: Die Veröffentlichung unseres Profils auf Simplifier.net ist zeitlich vor der Veröffentlichung der Best Practices gewesen, weswegen wir bestimmt nicht an allen Stellen den Best Practices entsprechen. Allerdings haben wir im Vorfeld viele Inhalte in der Community besprochen und so schon das Feedback mit einfließen lassen, aus dem auch später die Best Practices geworden sind. Wir arbeiten aktuell an einer Überarbeitung unseres Profils, nach der wir es auch durch ein offizielles Kommentierungsverfahren laufen lassen möchten.

Wir sehen uns als aktiver Teil der FHIR-Community und arbeiten eng mit anderen Akteuren zusammen, um die Interoperabilität im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben.

Kai: Gibt es spezifische FHIR-Elemente aus der neuen Version R5, die ihr bereits verwendet? Wie geht ihr damit um?

Jonas: Wir halten unsere Systeme ständig auf dem neuesten Stand und integrieren auch Elemente aus FHIR R5, wo es sinnvoll ist. Allerdings meist als R4 Backportierung, da wir uns der Stellungnahme von Gematik, KBV und HL7 Deutschland anschließen, nicht direkt auf R5 umzustellen. Die neuen Features und Erweiterungen, die R5 bietet, sind für uns aber trotzdem von großem Interesse, beispielsweise das neue Modell zu FHIR Subscription. Wir evaluieren regelmäßig, welche neuen Möglichkeiten sich bieten und passen unsere Systeme entsprechend an. Unsere enge Zusammenarbeit mit der FHIR-Community hilft uns, frühzeitig Einblicke in neue Entwicklungen zu erhalten und diese in unsere Produktentwicklung zu integrieren.

Kai: Wie nutzt ihr FHIR zur Datenanalyse und Speicherung? Geht ihr hier einen eigenen Weg?

Jonas: In unserer Bestandssoftware MOMO haben wir unseren Kunden bereits ein Modul zur Analyse von Daten mit an die Hand gegeben.  Aus diesem Tool entsteht derzeit ein eigenes Produkt mit den Namen „Tiplu Analysen“, das auf dem FHIR-Datenmodell basieren soll. Das bedeutet, dass wir FHIR-Datenmodelle verwenden, um Daten strukturiert zu speichern und diese für Analysen zu nutzen. Während viele andere Anbieter FHIR hauptsächlich für den Datenaustausch nutzen, sehen wir großes Potenzial darin, FHIR auch für die Datenanalyse und Langzeitspeicherung einzusetzen. So können wir beispielsweise die Zeit einsparen, die eine FHIR-Fassade benötigt, um die eine FHIR-Ressource zur Laufzeit zusammenzubauen.

Kai: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Du hast angekündigt, dich selbstständig zu machen. Was hat dich zu diesem Schritt bewogen, und welche Pläne hast du für die Zukunft?

Jonas: Die Entscheidung zur Selbstständigkeit, begleitend zu meinen Aufgaben bei Tiplu, kam aus dem Wunsch heraus, anderen Mitstreitern im deutschen Gesundheitswesen den Standard FHIR näherzubringen und dabei meine Learnings bei Tiplu mit einfließen zu lassen.

Die Entscheidung ist zusammen mit Tiplu gefallen und ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich bei der Umsetzung dieses Schrittes erfahre.

Kai: Nochmals vielen Dank für unser Gespräch. Im Oktober 2024 wurdest du auf der HL7 Mitgliederversammlung auch zu einem unserer Beisitzer gewählt. Wir freuen uns darauf, dass du – neben deiner schon erwähnten Arbeit im TC FHIR – nun ebenso an dieser Stelle noch intensiver an der Verbreitung von „gutem“ FHIR mitwirken kannst.

Ein großes Dankeschön an Jonas Schön

Interview: Dr. Kai U. Heitmann

Aufbereitung: Teresa Barth, Claudia Dirks

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Bildnachweis: HL7 Deutschland, Tiplu GmbH 

KI-Hinweis: Titelbild erzeugt durch KI